Shopping-Möglichkeiten gibt es in München viele – doch im Glockenbachviertel findet man etwas Besonderes: Hier kann man einzigartig gut Vintage shoppen. Das liegt nicht nur an der großen Zahl von Läden, sondern auch am Zusammenhalt unter ihnen. Wir sind mit Vintage-Spezialistin und Ladeninhaberin Alva-Morgaine Pilz von Geschäft zu Geschäft gezogen – und haben erfahren, was Secondhand von Vintage unterscheidet und weshalb man die Augen nach altem Kaschmir offen halten sollte.
Als wir mit Alva-Morgaine Pilz den ersten Laden betreten, das „Haben Will“ in der Reichenbachstraße, wird es für einen Moment spannend. Hinter dem Tresen steht Ladeninhaber Dirk Mann, eigentlich müssten sich seine Augen jetzt zu Schlitzen verengen, uns blankes Misstrauen entgegenschlagen. Schließlich betreibt Pilz selbst einen Vintage-Laden, keine 700 Meter entfernt in der Hans-Sachs-Straße. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die beiden begrüßen sich wie alte Freunde. Hier, zwischen Korbtaschen und Kristallbustiers, quatschen sie über ihre letzten Funde: eine Hose von Etro aus den 1970er-Jahren und eine Kette aus japanischen Süßwasserperlen. Dass die beiden eine gemeinsame Passion verbindet, merkt man sofort.
Pilz begann mit dem Sammeln von Vintage-Kleidung, als sie 13 Jahre alt war. Bei der Frage, wie viele Stücke sie insgesamt hat, muss sie deshalb lachen: „Das kann ich beim besten Willen nicht beantworten, es sind einfach zu viele.“ Sie sieht aus, als wäre sie einem Musikvideo aus den 1970er-Jahren entstiegen: Die rotbraunen Locken trägt sie unter einer Schiebermütze, zur Schlaghose eine geblümte Bluse, an den Fingern mit den rot lackierten Nägeln stecken goldene Ringe. Nach einem Studium der Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Textil und Ethnologie stieß sie vor sieben Jahren zufällig auf ein leeres Geschäft in der Hans-Sachs-Straße – und erfüllte sich kurzerhand ihren Traum vom eigenen Laden. „Ich verkaufe bei mir Kleidung aus den Jahren 1880 bis 1990, also ausschließlich Vintage.“ Diese Einordnung ist ihr wichtig, denn echt Vintage ist nur, was 25 Jahre und älter ist – anders als Secondhand, das auch aus jüngerer Zeit stammen kann.
Hier, zwischen Korbtaschen und Kristallbustiers, quatschen sie über ihre letzten Funde: eine Hose von Etro aus den 1970er-Jahren und eine Kette aus japanischen Süßwasserperlen.
Im „Haben Will“ findet Pilz einen Armreif, den sie ersteht. „Ich schaffe es nie, hier rauszugehen, ohne etwas zu kaufen,“ sagt sie. Den Laden von Dirk Mann kann sie vor allem für Schmuck, Bühnenoutfits und Hutmode empfehlen. An den Wänden reihen sich Kleiderständer, von den Regalen hängen Taschen, auf den Köpfen von Schaufensterpuppen stapeln sich Hüte. Es ist nicht die typische Shopping-Erfahrung, die einen hier erwartet. „Das ist wie bei mir im Laden: Es ist nicht alles genau sortiert und es gibt auch nicht immer jede Größe“, sagt Pilz. Dafür ist hier nicht nur die Kleidung wirklich individuell, sondern auch die Beratung, da sind sich Pilz und Mann einig. „Das Schöne ist, dass in den Vintage-Läden immer auch die Besitzer drinstehen, die einem zu jedem Teil etwas erzählen können,“ sagt Pilz. Und Mann fügt hinzu: „Im Glockenbach sind wir Vintage-Läden wie eine Familie, weil es so ein spezieller Bereich ist. Diese Geschäfte entstehen aus Liebe und Leidenschaft, nicht um reich zu werden.“
Als Nächstes möchte Pilz bei René vorbeischauen. Sein Laden „Cat With a Hat“ ist 200 Meter weiter in der Baaderstraße, hier gibt es Schmuck und Vintage-Mode. René Maria Lutz erwartet uns stehend hinter der Theke, die Daumen mit den dunkel lackierten Nägeln hat er in die Gürtelschlaufen seiner Jeans gehängt, an einem Ohr baumelt ein kleiner Ohrring. Nach einem kurzen Austausch über die neuesten Teile, die René ergattert hat, fragt er, ob wir auch schon „nebenan bei Trish“ oder bei Alexa waren.
„Wir sind alle wahnsinnig froh, einander zu haben“, sagt Pilz. „Vintage ist wie Lotto spielen, mal findet man was, mal nicht. Das heißt, wenn jemand traurig bei mir rausgeht und ich eine Alternative bieten kann, ist der Mensch glücklich und kommt eventuell wieder, weil er sieht, dass ich Ahnung habe.“ „Miteinander statt Gegeneinander“ lautet die Devise, wodurch ein sich ergänzendes Netzwerk entsteht, das zusammengenommen wie ein Magnet für Vintage-Fans wirkt. „Wir haben alle einen unterschiedlichen Stil und Schwerpunkt. Dadurch, dass keines der Kleidungsstücke in Konkurrenz steht, weil alles Einzelstücke sind, ist das kein Problem“, sagt Pilz.
Pilz geht zielstrebig durch den Laden, greift methodisch nach Kleiderbügeln. Man merkt ihr geschultes Auge, sie sucht gezielt nach bestimmten Farben und Materialien. „Das ist ein selektives Wahrnehmen“, sagt sie. Während wir durch die Kleidung schauen, erklärt Pilz, woran man gute Vintage-Kleidung erkennt: „Guck, ob es eine Maschinennaht oder eine Handnaht ist. Wenn sie viel zu regelmäßig und im ‚Zickzack‘ ist, dann ist es mit einer Overlock-Nähmaschine gemacht. Das heißt, dass es Massenware ist. Und gerade beim Vintage-Kauf freut man sich ja über ein Einzelstück.“ Ihren eigenen Stil beschreibt sie lachend als „Kitsch mit Anspruch und ganz viel Märchen“.
Pilz selbst sucht besonders gerne nach Kaschmir – aber nicht irgendeinem, sondern am liebsten nach dem, der um die Jahrhundertwende hergestellt wurde. „Damals gab es riesige Kaschmirtücher, die man über Pelerinen – ein kurzer Schulterumhang, der einem Cape ähnelt – getragen hat. Kaschmir war damals nicht so weich, wie wir ihn heute kennen, aber er wurde unglaublich aufwendig gewebt und war besonders dick.“
Ihren eigenen Stil beschreibt sie lachend als „Kitsch mit Anspruch und ganz viel Märchen“.
Den Großteil ihrer Stücke findet Pilz auf Reisen, am liebsten auf Ibiza, wo noch viele Einzelteile hergestellt werden. Aber auch auf Souks in Marokko oder auf Flohmärkten in Brüssel, wo es tolle Vintage-Möbel gibt. „Ich fahre nirgendwohin in den Urlaub, wo ich nicht einkaufen kann,“ sagt sie. Manchmal muss sie deshalb einen Extrakoffer mitbringen – „oder ich quetsche etwas bei meinen Freunden rein. Auf jeden Fall komme ich meistens mit viel Übergepäck zurück.“ Online kauft Pilz dagegen kaum etwas. „Ich muss die Kleidung selbst sehen und anfassen. Deswegen betreibe ich auch den Laden – die Haptik vermittelt die Wertigkeit. Und man verzeiht auch kleine Mängel viel eher. Wenn man online bestellt und keinen Kontext zu dem Teil hat, ist das eher nicht so.“
Pilz beschließt, dass es an der Zeit ist weiterzuziehen: René Maria Lutz verabschiedet uns: „Richtet Alexa liebe Grüße von mir aus,“ sagt er. „Alexas Secondhandmode“ in der Utzschneiderstraße ist eins der Urgesteine der Münchner Vintage-Szene, das Geschäft existiert seit über dreißig Jahren. Die Namensgeberin sitzt hinter dem Tresen. Sie trägt zwei Tücher, eins als Stirnband um ihren Kopf gebunden, das andere um den Hals geschlungen, ihre Augen sind schwarz umrandet. Als Pilz den Laden betritt, lächelt sie, auch hier dreht sich das Gespräch sofort um Mode. Alexa Schab führt Pilz zu einem Ständer, zeigt ihr einen magentafarbenen Samtanzug.
Vintage-Mode liegt aktuell im Trend. Manche Läden machen sich das zunutze, indem sie Secondhandware als authentisches Vintage verkaufen. Wie man das vermeidet, erklärt Schab anhand einer Hose, der jedes Etikett fehlt. „Das heißt, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit handgemacht ist und nicht aus einer Fabrik kommt. Wenn kein Etikett zu finden ist und keine Größe drinsteht, ist das ein gutes Vintage-Indiz.“
Auch wenn es mit dem Wandel von Größen und Passformen manchmal knifflig sein kann, hat Vintage-Mode einen großen Vorteil: „Das Schöne ist, dass sich alles wiederholt“, sagt Pilz.
Alexas sei DIE Anlaufstelle für Vintage-Mode für Männer, erzählt Pilz. Denn die ist rar. „In den zwei Weltkriegen ist viel kaputtgegangen,“ erklärt Alexa Schab. „Außerdem haben die Männer nicht so gut auf ihre Kleidung aufgepasst wie die Frauen.“ Auch hier zeigt sich wieder: Beim Vintage-Shoppen ist eine gute Beratung kostbar. Um ein passendes Hemd aus den 1950er-Jahren zu finden, muss man eine Weile suchen. „Damals saßen die Hosen viel höher,“ erklärt Pilz. „Das heißt, Vintage-Hemden sind den meisten Männern heute zu kurz, weil sie die Hosen tiefer tragen“, fügt Schab hinzu. Das gelte auch für Schuhgrößen. „Selbst wenn du einen Schuh in Größe 37 findest, weißt du nicht, ob er dir wirklich passt. Früher waren die Schuhe viel schmaler als heute.“ Deshalb rät sie: Die Größen erst einmal ignorieren und die Sachen anprobieren.
Auch wenn es mit dem Wandel von Größen und Passformen manchmal knifflig sein kann, hat Vintage-Mode einen großen Vorteil: „Das Schöne ist, dass sich alles wiederholt“, sagt Pilz. „In den 1960er-Jahren hat man die geraden Linien der 1920er-Jahre, die 1930er-Jahre ähneln den 1970er-Jahren. So kannst du Kunden immer eine Alternative bieten.“
Schab und Pilz sind sich sicher: Dieses Jahr wird Country-Mode samt Cowboyhüten und -stiefeln ein großer Trend sein. „Schau dir nur die aktuelle Louis-Vuitton-Show an“, sagt Schab und verweist auf die Kollektion des französischen Modehauses, bei der Models mit Westerngürteln und Lassos in der Hand über den Laufsteg geschickt wurden. Alexa Schab lädt noch auf ein Glas Sekt vor dem Laden ein – ein übliches Prozedere, sagen die beiden. „Dann kommen wir zusammen, trinken einen und quatschen,“ sagt Alexa Schab. „Und danach kaufen wir uns gegenseitig die neuesten Klamotten ab.